Eine virtuelle Simulation einer Stadt, jederzeit verbunden mit realen Infrastruktursystemen - mithilfe solcher „Digitalen Zwillinge“ könnten Behörden und Rettungsdienste Katastrophen frühzeitig erkennen und die Folgen von Entscheidungen vorhersagen. Wissenschaftler:innen des Instituts für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben sich in Zusammenarbeit mit emergenCITY angeschaut, wie digitale Zwillinge die Resilienz urbaner Infrastrukturen stärken könnten.

Im kürzlich im Fachjournal „Sustainability Analytics and Modeling“ veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Improving the resilience of socio-technical urban critical infrastructures with digital twins: Challenges, concepts, and modeling“ präsentieren die Autoren Tobias Gebhard, Jonathan Sattler, Jonas Gunkel, Marco Marquard und Andrea Tundis ihre Forschungsergebnisse zum Thema.

„Urbane digitale Zwillinge werden bislang hauptsächlich im Kontext Stadtplanung betrachtet, zum Beispiel, um interaktive 3D Modelle zu entwickeln“, erklärt Tobias Gebhard, DLR- und emergenCITY-Wissenschaftler. „Wir haben die Idee des digitalen Zwillings erstmals auf kritische Infrastrukturen und Krisenszenarien angewandt.“

Digitaler Zwilling als Glaskugel, die Was-Wäre-Wenn-Szenarien simuliert

Naturkatastrophen, Extremwetter und Kriege können lebenswichtige Infrastrukturen wie Stromnetze, Wasserversorgungssysteme und Transportwege zerstören. Ein urbaner digitaler Zwilling wie ihn die Autoren definieren, also eine virtuelle Kopie, die in Echtzeit mit der physischen Stadt verbunden ist, könnte Was-Wäre-Wenn-Szenarien simulieren, um beispielsweise Krisenstäbe zu unterstützen, schnelle und fundierte Entscheidungen zu treffen. Dafür werden Daten kontinuierlich gemessen, überwacht und analysiert.

„Dabei ist es entscheidend, die komplexen Abhängigkeiten zwischen den Systemen zu beachten sowie das Verhalten der Menschen, die in einer Stadt leben und mit Infrastrukturen interagieren“, sagt Tobias Gebhard.

Modellierungsframework berücksichtigt Abhängigkeiten und menschliches Verhalten

Die Forscher entwickelten ein Modellierungsframework, das Infrastruktursysteme für Strom, Wasser und Verkehr sowie ihre Vernetzungen darstellt. Denn insbesondere in einer Katastrophe, wie beispielsweise der Ahrtalflut 2021, wird sichtbar, welche Abhängigkeiten die Systeme untereinander haben, während das im Normalbetrieb kaum auffällt. Die Forschenden sprechen auch von einer Kette unvorhergesehener Ereignisse, sogenannten „cascading effects“.

Zusätzlich hat das Team auch sozio-technische Abhängigkeiten, also den Einfluss der Stadtbewohner:innen, im Modellierungsprozess berücksichtigt. So können beispielsweise Daten, die Smart Meter erfassen, Aufschluss darüber geben, wieviel Strom oder Wasser gerade von den Bewohner:innen in einer Stadt verbraucht werden. Sensoren im Verkehrsnetz könnten zeigen, wie und wohin sich Menschen bewegen. Geografische Daten zum Beispiel zur Lage von Schulen wiederum liefern Hinweise, wo sich Personen zu bestimmten Zeiten aufhalten. Abschließend haben die Wissenschaftler untersucht, wie die Resilienz kritischer Infrastrukturen gegenüber verschiedenen Krisenszenarien mithilfe des Frameworks quantitativ bewertet werden kann.

Das Paper zu urbanen digitalen Zwillingen ist das Ergebnis dreijähriger Forschungsarbeit. Die Erkenntnisse sind bereits in die Entwicklung eines Demonstrators geflossen: NEXUS ist ein Echtzeit-Simulator, der kritische Infrastrukturen und ihre Abhängigkeiten simuliert, um die Auswirkungen von potentiellen Störungsszenarien übergreifend und interaktiv zu analysieren.

Video über den Simulator NEXUS

Video über den Nexus Simulator
Der NEXUS Simulator wird vom LOEWE-Zentrum emergenCITY und dem DLR-Institut für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen entwickelt.

Publikation

Tobias Gebhard, Bernhard J. Sattler, Jonas Gunkel, Marco Marquard, Andrea Tundis, Improving the resilience of socio-technical urban critical infrastructures with digital twins: Challenges, concepts, and modeling, Sustainability Analytics and Modeling, Volume 5, 2025, 100036, ISSN 2667-2596, https://doi.org.

Weitere Informationen

Projekt urbanModel am DLR-Institut für den Schutz terrestrischer Infrastrukturen: www.dlr.de